Beschluss vom 11.04.2024 -
BVerwG 2 WRB 3.23ECLI:DE:BVerwG:2024:110424B2WRB3.23.0

Unbegründete Rechtsbeschwerde betreffend die Verhängung einer Disziplinarbuße

Leitsätze:

1. § 4 Satz 1 WDO i. V. m. §§ 28, 21 SBG verlangen nicht, dass der Inhalt der Erörterung der Stellungnahme der Vertrauensperson zur beabsichtigten Disziplinarmaßnahme zu protokollieren ist.

2. Die Kommandierung eines Soldaten zu einer anderen Dienststelle hat im Regelfall eine nur vorübergehende Unterstellung im Sinne des § 29 Abs. 3 WDO zur Folge.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 3 Abs. 1
    SBG §§ 21, 24 Abs. 1 Nr. 2, § 28 Abs. 1 und 4
    SG § 3 Abs. 1
    StPO §§ 168a, 168b Abs. 2 Satz 1
    VwVfG § 44 Abs. 2 Nr. 3, §§ 45, 46
    WBO § 22a Abs. 1, 3 und 4, § 23a Abs. 2 Satz 1
    WDO § 4 Satz 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 29 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 30 Abs. 1 Nr. 2, § 46 Abs. 2 Nr. 2
    VwGO § 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 2

  • TDG Süd 6. Kammer - 26.10.2023 - AZ: S 6 BLc 08/18

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.04.2024 - 2 WRB 3.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:110424B2WRB3.23.0]

Beschluss

BVerwG 2 WRB 3.23

  • TDG Süd 6. Kammer - 26.10.2023 - AZ: S 6 BLc 08/18

In dem Rechtsbeschwerdeverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
den ehrenamtlichen Richter Kapitän z.S. Laabs und
die ehrenamtliche Richterin Oberstabsarzt Dr. med. Lössel
am 11. April 2024 beschlossen:

  1. Die Rechtsbeschwerde des Bundesministeriums der Verteidigung gegen den Beschluss der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 26. Oktober 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Die Rechtsbeschwerde betrifft Fragen der formellen Rechtmäßigkeit einer Disziplinarbuße.

2 1. Der Soldat war 2018 Kommandant des Tenders "..." im Dienstgrad eines Fregattenkapitäns. Der Tender nahm in dem Jahr an der "EUNAVFOR MED Operation SOPHIA" teil. Der Soldat wurde dafür vom 30. April bis zum 26. September 2018 von seiner Dienststelle "Tender ..." wie weiteres Stammpersonal zur Einsatzdienststelle "Tender ..." kommandiert. Dort begann am 2. Mai 2018 der Kontingentzeitraum für das 8. Deutsche Einsatzkontingent unter der Verantwortung des eingeschifften Kontingentführers Fregattenkapitän G.

3 2. Dieser verhängte am 20. Juni 2018 gegen den Soldaten in italienischen Territorialgewässern eine Disziplinarbuße von 2 500 €, weil der Soldat eine ungewollte Schussabgabe mit Personenschaden an Bord des Tenders weder gemeldet noch den Kontingentführer davon in Kenntnis gesetzt habe. Er habe außerdem versucht, den Leitenden Sanitätsoffizier zu veranlassen, auf der San-Sofort-Meldung die ungewollte Schussabgabe nicht zu erwähnen und die Verletzung als "unverfänglich" zu beschreiben. Die Vertrauensperson hatte dazu in ihrer Anhörung am 19. Juni 2018 erklärt:
"Beabsichtigt ist, eine Disziplinarbuße in Höhe von 2.500,- € zu verhängen. Im Rahmen der Erörterung kann ich die Höhe des Strafmaßes der Disziplinarbuße nicht nachvollziehen, gebe zu bedenken, dass mir diese Höhe zu hoch erscheint und bitte bei der Bemessung der Disziplinarbuße dies mit zu berücksichtigen."

4 Im Protokoll wurde das Feld "Die Erklärung enthält die Stellungnahme und deren Erörterung" angekreuzt.

5 3. Mit Entscheidung vom 22. Juni 2018 löste der Kontingentführer den Soldaten von der besonderen Auslandsverwendung ab und beendete sie mit Wirkung zum selben Tag. Das Ende der Kommandierung wurde auf der Kommandierungsverfügung auf den 23. Juni 2018 geändert.

6 4. Der Soldat erhob Beschwerde gegen die Disziplinarbuße. Er rügte insbesondere, dass die Erörterung der beabsichtigten Disziplinarmaßnahme mit der Vertrauensperson unzureichend dokumentiert worden sei.

7 5. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos wies die Beschwerde mit Beschwerdebescheid vom 23. August 2018 zurück. Aus nachträglichen Erklärungen des Kontingentführers und der Vertrauensperson ergebe sich, dass die beabsichtigte Disziplinarmaßnahme ordnungsgemäß erörtert worden sei.

8 6. Das Truppendienstgericht hat auf die weitere Beschwerde des Soldaten mit Beschluss vom 26. Oktober 2023 die Disziplinarmaßnahme und den Beschwerdebescheid aufgehoben und angeordnet, dass der vollstreckte Betrag zu erstatten sei. Die Disziplinarmaßnahme sei wegen einer unzureichenden Dokumentation der Erörterung der Stellungnahme der Vertrauensperson rechtswidrig. Dass die Erörterung unstreitig stattgefunden habe, sei unerheblich. Ob dieser Verfahrensfehler bereits zur Aufhebung führe, könne dahinstehen, weil die Disziplinarbuße schon wegen der Unzuständigkeit des Kontingentführers aufzuheben sei. Dieser sei nach § 29 Abs. 3 WDO von einer Ausübung der Disziplinargewalt ausgeschlossen gewesen, weil der dienstgradgleiche Soldat ihm infolge seiner Kommandierung nur vorübergehend unterstellt gewesen sei. Das Truppendienstgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

9 7. Das Bundesministerium der Verteidigung hat gegen den Beschluss am 15. November 2023 beim Truppendienstgericht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2023 gegenüber dem Truppendienstgericht begründet. Wenn - wie hier - eine ordnungsgemäße Erörterung der Stellungnahme der Vertrauensperson zur beabsichtigten Disziplinarmaßnahme unstreitig stattgefunden habe, sei eine fehlende Dokumentation des Inhalts der Erörterung unschädlich. Zudem sei der Kontingentführer für die Verhängung der Disziplinarbuße auch zuständig gewesen. Er müsse als Gesamtverantwortlicher für das Einsatzkontingent und zur Rechtssicherheit in der Lage sein, gegenüber jedem ihm unterstellten Soldaten eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Andernfalls müsste er selbst in Routineangelegenheiten disziplinare Ermittlungen abgeben. Denn in einem Einsatz hätten regelmäßig etliche Personen den gleichen Dienstgrad wie der Kontingentführer. Dies müsse jedenfalls gelten, wenn eine gesamte Einheit in den Einsatz kommandiert worden sei. Zumindest eine mehr als dreimonatige Kommandierung begründe keine nur vorübergehende Unterstellung, selbst wenn sie - wie hier - vorzeitig aufgehoben werde. Denn ein Unterstellungsverhältnis von mehr als drei Monaten führe zu einer gefestigten Hierarchie innerhalb der Einheit, die sich etwa von einer Krankheits- oder Urlaubsvertretung unterscheide. Ferner sei die Vertrauensperson erst bei Kommandierungen von mehr als drei Monaten gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 SBG zu beteiligen. Zudem sei eine Kommandierungsdauer von mehr als drei Monaten bei einem Auslandseinsatz der Normalfall, der auch den regulären Anwendungsbereich der Wehrdisziplinarordnung abbilden solle.

10 8. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft teilt diese Auffassungen. Die Disziplinargewalt müsse zeitnah vor Ort ausgeübt werden können und dürfe nicht von "reach back"-Lösungen mit dem Heimatland abhängen. Eine Verwendung auf einem Dienstposten in einem Einsatzkontingent sei im Gegensatz etwa zu einer Unterstützungskraft zum Abdecken von Belastungsspitzen über die eigentliche Struktur einer Einheit hinaus nicht vorübergehend.

11 9. Der Soldat tritt dem entgegen. Er verweist auf die Definition der Kommandierung als vorübergehende Maßnahme in der Allgemeinen Regelung A-1420/37. Dass bei unterschiedlichen Auffassungen des Disziplinarvorgesetzten und der Vertrauensperson zur Höhe der beabsichtigten Disziplinarmaßnahme auch die Erörterung der unterschiedlichen Positionen zu dokumentieren sei, ergebe sich insbesondere aus den Regelungen des Bundesministeriums der Verteidigung in den Zentralen Dienstvorschriften A-1472/1 und A-2160/6.

12 10. Die Verfahrensakten des Truppendienstgerichts haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

13 Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

14 1. Sie ist zwar zulässig. Insbesondere ist sie vom Truppendienstgericht mit bindender Wirkung für den Senat zugelassen (§ 22a Abs. 1 und 3 WBO) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 22a Abs. 4 WBO).

15 2. Die Rechtsbeschwerde ist aber unbegründet (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 144 Abs. 2 VwGO). Denn der angefochtene Beschluss beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

16 a) Zwar ist das Truppendienstgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Disziplinarbuße rechtswidrig sei, weil die Erörterung der Stellungnahme der Vertrauensperson zum beabsichtigten Disziplinarmaß nicht ordnungsgemäß nach § 4 Satz 1 WDO i. V. m. §§ 28, 21 SBG dokumentiert worden sei.

17 aa) Gemäß § 4 Satz 1 WDO i. V. m. § 28 Abs. 1 SBG hat der Disziplinarvorgesetzte (oder ein von ihm beauftragter Offizier) vor der Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme die Vertrauensperson zur Person des Soldaten, zum Sachverhalt und zum Disziplinarmaß anzuhören, sofern der Soldat dies nicht ausdrücklich ablehnt. Für die Durchführung der Anhörung gilt § 21 SBG mit der Folge, dass die Vertrauensperson rechtzeitig und umfassend zu unterrichten, ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und die beabsichtigte Maßnahme mit ihr zu erörtern ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2018 - 2 WRB 1.18 - BVerwGE 163, 345 Rn. 15). Gemäß § 28 Abs. 4 SBG ist über die Anhörung der Vertrauensperson ein Protokoll anzufertigen, das zu den Akten zu nehmen ist.

18 Diese Gesetzesbestimmungen enthalten - anders als etwa § 168b Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 168a StPO für die Protokollierung von Vernehmungen des Beschuldigten, der Zeugen und Sachverständigen durch Ermittlungsbehörden - keine inhaltlichen Vorgaben für das Protokoll. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass die Erörterung der Stellungnahme der Vertrauensperson zum beabsichtigten Disziplinarmaß in Form eines Wort- oder Inhaltsprotokolls zu dokumentieren wäre. Auch den Gesetzesmaterialien ist dies nicht zu entnehmen. Darin heißt es lediglich, dass in Ansehung der Bedeutung der Anhörung der Vertrauensperson für den Soldaten die Schriftform für das Protokoll vorgesehen wurde (vgl. BT-Drs. 11/7323 S. 21 zu § 27 Abs. 4 SBG-E). Sinn und Zweck des § 28 Abs. 4 SBG gebieten ebenfalls keine Dokumentation des Inhalts der Erörterung der Stellungnahme der Vertrauensperson. Die Regelung dient der Sicherstellung, dass den in § 28 Abs. 1 und § 21 SBG vorgesehenen Verfahrensschritten Rechnung getragen wurde und soll im Streitfall den diesbezüglichen Nachweis erleichtern. Dem wird auch ein Protokoll gerecht, in dem neben dem Inhalt der Stellungnahme nur die Tatsache der Erörterung wiedergegeben wird. Dies war nach den tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts bei dem Protokoll über die (zweite) Anhörung der Vertrauensperson vom 19. Juni 2018 der Fall.

19 bb) Weitergehende Dokumentationsanforderungen folgen auch nicht aus den vom Soldaten angeführten und zur Tatzeit gültigen Zentralen Dienstvorschriften (ZDv). Die ZDv A-1472/1 ("Beteiligung durch Vertrauenspersonen") enthält in ihrer maßgeblichen Version 1 bereits inhaltlich keine weitergehenden Dokumentationsvorgaben. Nr. 231 und 239 sehen insoweit nur vor, dass eine Niederschrift zu fertigen ist, die zu den Ermittlungsakten zu nehmen ist.

20 Die ZDv A-2160/6 ("Wehrdisziplinarordnung und Wehrbeschwerdeordnung") regelt zwar in Nr. 1225, dass bei der gemeinsamen Erörterung der Stellungnahme der nach § 28 Abs. 1 SBG angehörten Vertrauensperson ein bestimmtes Formblatt zu nutzen und auf eine sorgfältige Dokumentation der einzelnen Verfahrensschritte zu achten sei. Insbesondere sei die Erörterung umfassend und nachvollziehbar niederzuschreiben, wenn die Stellungnahme der Vertrauenspersonen von der Einschätzung der Disziplinarvorgesetzten abweiche. Nach Nr. 1228 ist der Inhalt der Erörterung der Stellungnahme mit der Vertrauensperson zu protokollieren. Diese bloßen Verwaltungsvorschriften sind aber nicht auch in die Gesetzesvorschriften § 4 Satz 1 WDO i. V. m. §§ 28, 21 SBG "hineinzulesen", die dies gerade nicht vorschreiben. Denn rein norminterpretierende Verwaltungsvorschriften können und sollen den Inhalt der Gesetze nicht ändern und entfalten gegenüber Gerichten keine Bindungswirkung (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 - BVerwGE 153, 129 Rn. 34 und vom 27. Februar 2020 - 5 C 5.19 - BVerwGE 168, 15 Rn. 11).

21 Im Übrigen wäre ein Dokumentationsmangel vorliegend unbeachtlich, weil er die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat (vgl. § 46 VwVfG). Dies folgt aus der Erklärung des Kontingentführers vom 15. August 2018. Danach hat die Vertrauensperson im Rahmen der Erörterung ihrer Stellungnahme umfassend vorgetragen und der Kontingentführer hat ihre Argumente erwogen. Nach den Umständen des Falles besteht somit nicht die konkrete Möglichkeit, dass bei einer ausführlichen Dokumentation des Inhalts der Erörterung eine für den Soldaten günstigere Entscheidung getroffen worden wäre (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 21. September 2022 - 2 WDB 1.22 - BVerwGE 176, 296 Rn. 31).

22 b) Das Truppendienstgericht hat indes seine Entscheidung zutreffend auch darauf gestützt, dass der Kontingentführer nach § 29 Abs. 3 WDO von der Ausübung der Disziplinargewalt ausgeschlossen war.

23 aa) Der Kontingentführer war bei Verhängung der Disziplinarbuße am 20. Juni 2018 gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 WDO der nächste Disziplinarvorgesetzte des Soldaten. Denn er war der unterste Vorgesetzte mit Disziplinarbefugnis, dem der Soldat unmittelbar unterstellt war. Dem Kommandeur des Deutschen Einsatzkontingents EUNAVFOR MED, d. h. dem jeweiligen Kontingentführer, wurde mit Verfügung vom 14. Juli 2015 gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 WDO die Disziplinarbefugnis der Stufe 3 (§ 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 WDO) verliehen. Das unmittelbare truppendienstliche Unterstellungsverhältnis des zur Dienststelle des Kontingentführers des Deutschen Einsatzkontingents EUNAVFOR MED kommandierten Personals der Einsatzdienststelle "Tender ..." ergibt sich aus der Übersicht in Anlage C ("Truppendienstliche Unterstellung DEU Kräftedispositiv EU NAVFOR MED") der "Weisung zur Aufstellung und Verlegung des 8. DEU EinsKtGt EU NAVFOR MED - Operation SOPHIA" vom 28. Februar 2018. Der Soldat wurde mit Verfügung vom 9. April 2018 (in der 1. Korrektur vom 2. Mai 2018) ab dem 30. April 2018 zur Einsatzdienststelle "Tender ..." kommandiert. Am 2. Mai 2018 übernahm der Kontingentführer Fregattenkapitän G. die Verantwortung für das 8. Deutsche Einsatzkontingent (vgl. Ziffer 3 c (2) der Weisung).

24 bb) Das Truppendienstgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Soldat dem dienstgradgleichen Kontingentführer infolge seiner Kommandierung nur vorübergehend im Sinne des § 29 Abs. 3 WDO unterstellt war, so dass für die Verhängung der Disziplinarbuße nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 WDO der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte, d. h. der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, zuständig gewesen wäre.

25 (1) Die Wehrdisziplinarordnung definiert den Begriff der "vorübergehenden Unterstellung" nicht. Auch die Gesetzesmaterialien erläutern ihn nicht (vgl. BT-Drs. 2/2181 S. 41 zu § 18 WDO-E). Nach dem Wortsinn bedeutet "vorübergehend" so viel wie "nur zeitweilig, nur eine gewisse Zeit dauernd; momentan" (vgl. https://www.duden.de/rechtsschreibung/voruebergehend). "Vorübergehend" ist das Gegenteil von "dauerhaft". Der Sinn und Zweck der § 29 Abs. 3, § 30 Abs. 1 Nr. 2 WDO besteht darin, bei einer vorübergehenden Unterstellung das Ehrgefühl des mit dem nächsten Disziplinarvorgesetzten dienstgradgleichen Soldaten zu schonen und Spannungen zwischen beiden zu vermeiden (vgl. Dau/Schütz, Wehrdisziplinarordnung, 8. Aufl. 2022, § 29 Rn. 18). Hingegen wird ein dienstgradgleicher Soldat bei einer dauerhaften Unterstellung auch disziplinarisch untergeordnet. Ob das vorübergehende Unterstellungsverhältnis auf einem mündlichen Befehl, einer schriftlichen Kommandierung, einem zeitweiligen Ausscheiden von Truppenteilen (vgl. § 29 Abs. 2 Satz 2 WDO) oder einer sonstigen Maßnahme beruht und ob die Maßnahme richtig bezeichnet ist, ist ohne Bedeutung.

26 (2) Bei der Abgrenzung einer vorübergehenden zu einer dauerhaften Unterstellung gibt es entgegen der Ansicht des Bundesministeriums der Verteidigung keine starre zeitliche Grenze. Entscheidend ist, ob das Unterstellungsverhältnis von Anfang an nach einem überschaubaren Zeitraum enden soll oder ob es auf unbestimmte bzw. sehr lange Dauer angelegt ist. Maßgeblich ist grundsätzlich die Planungsabsicht zu Beginn der Maßnahme, da der Inhaber der Disziplinargewalt von Anfang an feststehen muss. Ob die Unterstellung für mehr oder weniger als drei Monate verfügt wurde, ist unerheblich. § 29 Abs. 3 WDO enthält keine solche zeitliche Vorgabe. Eine Gleichsetzung des Wortes "vorübergehend" mit "bis zu drei Monaten" ist im natürlichen Sprachgebrauch nicht üblich. Ein solches Verständnis kann sich auch nicht auf Besonderheiten des juristischen Sprachgebrauchs berufen und hat insbesondere bei der Abgrenzung der Kommandierung zur Versetzung keine Parallele. Eine Kommandierung ist im Gegensatz zu einer Versetzung eine nur vorläufige Maßnahme vorübergehender Natur (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2023 - 1 W-VR 23.23 - juris Rn. 18). Mit ihr wird eine nur vorübergehende Verlagerung der allgemeinen, "vollen" Dienstleistung des Soldaten in eine andere Dienststelle angeordnet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 1 WB 39.17 - juris Rn. 22 m. w. N.). Demgegenüber wird der dauerhafte Wechsel der Einheit oder Dienststelle als Versetzung bezeichnet. Dabei ist eine Begrenzung der Kommandierung auf maximal drei Monate weder in Nr. 201 noch in Nr. 401 der Allgemeinen Regelung (AR) A-1420/37 ("Versetzung, Dienstpostenwechsel und Kommandierung von Soldatinnen und Soldaten") vorgesehen und in der Rechtspraxis nicht üblich.

27 Auch die Gesetzesbegründung bietet für eine solche zeitliche Grenze keinen Anhalt. Etwas Anderes folgt auch nicht daraus, dass vor Kommandierungen mit einer Dauer von mehr als drei Monaten nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 SBG grundsätzlich die Vertrauensperson angehört werden soll, sofern der betroffene Soldat dies nicht ausdrücklich ablehnt. Diese Vorschrift dient dem Schutz des betroffenen Soldaten durch verfahrensrechtliche Beteiligung der Soldatenvertreter bei einer für ihn bedeutsamen Personalmaßnahme (vgl. § 1 Abs. 1 SBG). Sie kann nicht dafür ins Feld geführt werden, dass die zum Schutz dienstgradgleicher und dienstgradhöherer Soldaten vorgesehene Verlagerung der Disziplinarbefugnis auf den nächsthöheren Vorgesetzten nach § 29 Abs. 3, § 30 Abs. 1 Nr. 2 WDO bei drei Monate übersteigenden Kommandierungen entfällt.

28 Soweit die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft bei mehrmonatigen Auslandseinsätzen die gesetzliche Verlagerung der Disziplinargewalt für unzweckmäßig hält, weil ein zeitnahes Handeln vor Ort nicht von "reach back"-Lösungen mit dem Heimatland abhängen dürfe, mag dies für die Einschränkung des § 29 Abs. 3 WDO "de lege ferenda" sprechen. Weder im Wortlaut noch in der Entstehungsgeschichte gibt es jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die Norm "de lege lata" bei mehrmonatigen Unterstellungen im Rahmen von Auslandseinsätzen keine Geltung beansprucht.

29 (3) Ob eine dauerhafte Unterstellung vorliegt, wenn die Kommandierung mit dem Ziel einer anschließenden Versetzung zur betreffenden Dienststelle erfolgt (vgl. Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 29 Rn. 18), bedarf keiner Entscheidung, weil es darum vorliegend nicht geht. Ebenso kann dahinstehen, ob etwas Anderes in dem vom Bundesministerium der Verteidigung thematisierten Fall anzunehmen wäre, dass eine gesamte Einheit zu einer Einsatzdienststelle kommandiert wird und der nächste Disziplinarvorgesetzte des betreffenden Soldaten bei der Einsatzdienststelle zugleich sein nächster Disziplinarvorgesetzter bei der Stammdienststelle ist. Denn auch dieser Fall liegt hier nicht vor, weil der Kontingentführer eingeschifft wurde.

30 cc) Die Unzuständigkeit des Kontingentführers ist auch beachtlich, da die §§ 45, 46 VwVfG nicht eingreifen und da nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 WDO Disziplinarmaßnahmen, die von einem unzuständigen Disziplinarvorgesetzten verhängt wurden, zwingend im Wege der Dienstaufsicht aufzuheben sind (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 2 WDB 3.10 - juris Rn. 37).

31 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.